„Nicht wir Bauunternehmer sind die Preistreiber, sondern die Preistreiberei treibt uns vor sich her und wir sind völlig machtlos“, konstatiert Otto Birk, Obermeister der Bau-Innung Ravensburg. Die Rohbauer stünden massiv unter Druck, da sie Aufträge derzeit nicht fristgerecht abwickeln könnten. „Statt öffentlich als Sündenbock hingestellt zu werden, wünschen wir uns Verständnis und Solidarität“, appelliert der Bauunternehmer. Denn Verzögerungen und Verteuerungen sind die Folge von hohen Lieferpreisen und Materialknappheit. Wichtige Baustoffe wie Stahl, Dämmstoffe und KG-Rohre seien kaum mehr zu bekommen, Tendenz steigend. So könne man weder Fristen einhalten noch kalkulieren. „Wir sind immer grundsatzoptimistisch, haben die letzten Monate gekämpft und sind sehr gut durch die Pandemie gekommen. Aber diese Herausforderung können wir nicht alleine stemmen. Hier ist unsere Existenz bedroht, denn wenn wir kein Material bekommen, können wir nicht arbeiten, und wenn wir Fristen nicht einhalten können, springen uns die Kunden ab. Ich habe schon von Kollegen anderer Gewerke gehört, dass sie Aufträge stornieren und Kurzarbeit anmelden müssen, um überhaupt über die Runden zu kommen.“
Kurzarbeit droht akut
Auch im Ravensburger Bauhandwerk geht jetzt die Angst um. Bei Kreishandwerkerschaft und Bau-Innung kommen immer mehr Hilferufe an, der Beratungsbedarf sei so groß wie noch nie, stellt Franz Moosherr, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Ravensburg, fest. „Kurzarbeit in Zeiten von Hochkonjunktur aufgrund von Materialverknappung und Verteuerung ist absurd aber nicht unrealistisch“, so Moosherr. „Unser mittelständisches Handwerk ist gottseidank sturmerprobt und zupackend. Mit Kreativität, Flexibilität und Fleiß stemmen sie sich immer wieder heraus. Aber die Kraftakte werden immer gewaltiger und der Optimismus schrumpft von Tag zu Tag.“
Zu hohe rechtliche Hürden
Problematisch sei die Situation insbesondere auch bei öffentlichen Aufträgen. Hier liegen zwischen Ausschreibung, Angebot und Ausführung oft mehrere Monate und innerhalb der letzten sieben Monate haben sich Materialpreise teilweise verdoppelt. „Kein Betrieb kann seriös planen, wenn die neuen Kosten zum Zeitpunkt der Materialbestellung die Preise der früheren Angebotserstellung bei weitem übertreffen“, mahnt der Jurist. Er plädiert für eine Novellierung der Vergabeverordnung, in der durch die Wiedereinführung der Stoffpreisgleitklausel den Baubetrieben die Möglichkeit gegeben wird, die Materialpreissteigerung rechtssicher geltend zu machen. Darüber hinaus müsse gesichert sein, dass die Ausführungsfristen für die Baubetriebe nur dann verbindlich sind, wenn sie selbst die Möglichkeit haben, das Material fristgerecht zu beschaffen. „Die Anpassung der Vergabeverordnung an die aktuelle Situation könnte in zwei Wochen erledigt sein. Es reicht eine befristete Änderung, wie das seinerzeit schon einmal bei der Stahlknappheit der Fall war. Seit gut einem halben Jahr informieren wir die Politik engmaschig über diese dramatische Entwicklung. Getan hat sich bisher nichts, daher fordern wir die Verantwortlichen jetzt öffentlich auf, unverzüglich zu handeln“, so Moosherr mit Nachdruck.
Mehrere Erklärungen möglich
Über die Ursachen könne man nur spekulieren. Eine Erklärung sei, dass pandemiebedingt die Lieferketten durchbrochen wurden und die Herstellung sich verzögere. In Fachkreisen mache man den Bauboom in China und den USA für einen erhöhten Export und somit Materialengpässe und Preissteigerung verantwortlich. „Nicht zuletzt wird auch über eine künstliche Verknappung durch die Hersteller spekuliert. Wenn hier aber der Bogen überspannt wird, geht der Schuss nach hinten los“, warnt Moosherr und weist darauf hin, dass viele heimische Handwerks- und Baubetriebe dann existentiell bedroht wären und zumindest auf Kurzarbeit zurückgreifen müssten. „Das kann nicht im Interesse unserer Landesregierung sein“, so Moosherr, und fordert sofortiges Handeln. Die Novelle der Vergabeverordnung wäre ein Baustein, der Signalwirkung auch auf private Bauvorhaben haben könnte, wo eine rechtssichere Vereinbarung einer Stoffpreisgleitklausel durch die Gerichte mit zu hohen Hürden belegt wurde.
Nebeneffekt ökologische Baustoffentwicklung
Obermeister Otto Birk hofft derweil wie seine Kollegen auf eine Besserung mit dem Ende der Pandemie, denn dann könnten unterbrochene Lieferketten nicht mehr als Argument dienen. Und wenn nicht? Mit seiner optimistischen Einstellung ist der Bauunternehmer sogar bereit, das Problem bedingt positiv zu drehen: „Wenn wir keine Dämmstoffe mehr bekommen, müssen wir die Entwicklung der Alternativen vorantreiben. Da gibt es schon einiges, aber teuer und zudem mit umfangreicheren Baumaßnahmen verbunden. Aber bevor eine ganze Branche in die Knie gezwungen wird, sollte man ökologisches Bauen und Baustoff-Recycling, was ich absolut befürworte, noch weiter vorantreiben und die höheren Kosten akzeptieren. Ökologie gibt es halt nicht umsonst.“